Der Wendepunkt meines Lebens begann Mitte 2015 im Alter von 25 Jahren.
Ich war duschen als mir plötzlich extrem schlecht wurde. Ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen und auf einmal wurde mir extrem schwindlig. Von da an wusste ich, dass ich gleich ohnmächtig werde, obwohl ich diesen Zustand zu dieser Zeit noch nicht kannte. Mein Freund sagte noch zu mir, dass ich mich hinsetzen und die Füße hochlegen soll und kurz darauf brach ich zusammen. Obwohl es nur ein paar Sekunden waren in denen ich ohnmächtig war, kam es meinem Freund wie eine Ewigkeit vor.
Das nächste an was ich mich erinnern kann ist, wie er immer wieder „Schatz bitte wach auf“ ruft. Als ich langsam wieder wach wurde kam das erste Mal die Angst. Ich hatte Panik, wusste nicht was passiert war und war verunsichert. Ich fing an zu weinen und hatte Angst, dass es jeden Moment wieder passieren könnte. Mir schossen plötzlich alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Was wäre gewesen, wenn ich nicht mehr aufgewacht wäre, wenn mein Freund den Notruf anrufen hätte müssen und die mich dann nackt aus der Dusche ziehen hätten müssen. Jeder hätte mich bewusstlos und nackt da liegen sehen? (zu diesem Zeitpunkt war ich Student und wohnte in einem Wohnheim in dem die Dusche auf dem Gang war) Ich selbst kann mich an diese Befürchtungen nicht einmal mehr erinnern. Mein Freund hat es mir irgendwann einmal erzählt. Ich verspürte in diesem Moment also nicht nur Angst, sondern scheinbar auch Scham. Mittlerweile weiß ich, dass auch diese Angst sich zu blamieren ein Symptom meiner Agoraphobie ist.
Als ich mich dann wieder etwas beruhigt hatte, hat mich mein Freund zum Arzt begleitet, was eher ernüchternd war. Der Arzt meinte lediglich zu mir „Sie sind ohnmächtig geworden? Ja das ist natürlich doof, aber da müssen Sie sich keine Sorgen machen, einfach viel trinken!“ Mit dieser Aussage bin ich dann nach Hause, aber beruhigt hat es mich damals nicht. Ich konnte einfach nicht verstehen warum ich plötzlich einfach ohnmächtig wurde.
Ob dieser Vorfall aber wirklich der wahre Auslöser für meine Angststörung war, weiß ich bis heute nicht. .Das Einzige was ich weiß ist, dass von diesem Zeitpunkt an meine Angst ihren Lauf nahm.
Ein paar Tage später hatte ich den Vorfall mehr oder weniger verarbeitet und lebte normal weiter. Doch jedes Mal beim Einkaufen im Supermarkt fing es von nun an schleichend damit an, dass mir vor den Regalen und beim Anstehen an der Kasse schwindlig wurde. Ich hatte das Gefühl mich festhalten zu müssen, nicht mehr richtig stehen zu können und mein Herz schlug schneller. Dieser Zustand machte mir zwar Angst, jedoch habe ich mir damals noch nicht viel dabei gedacht, da es mir, sobald ich den Supermarkt verlassen habe, wieder gut ging.
Dass ich zu diesem Zeitpunkt aber bereits damit begann, viele alltägliche Dinge zu vermeiden und mein Leben dadurch einschränkte war mir lange nicht klar. Wie oft wurde ich von meinen Kommilitonen und Freunden angesprochen, warum ich zu keiner Party mehr mitkomme und nichts mehr unternehmen möchte, obwohl ich anfangs immer die war, die keine Party ausgelassen hat und bei allem dabei war. Alleine im Fitnessstudio bekam ich ständig Angst sobald mein Herz, auf dem Crosstrainer, anfing schneller zu schlagen. Durch diese Angst begann mein Herz natürlich damit noch schneller zu schlagen und dadurch wurde die Angst immer mehr und mehr.
Dinge und Aktivitäten die früher einfach ganz normal für mich waren, machten mir somit von nun an Angst. Dass irgendetwas nicht ganz richtig läuft bei mir, habe ich damals also definitiv selbst schon bemerkt, aber ich hatte für alles immer eine Ausrede parat und zwar nicht nur Ausreden die ich anderen aufgetischt habe, sondern auch Ausreden die ich mir selbst gesagt und geglaubt habe.
Da ich zu dieser Zeit meinen Freund kennengelernt habe, habe ich mir selbst immer gesagt, dass ich nun wohl lieber Zeit mit ihm verbringe und deswegen nicht mehr jede Party mitnehmen müsste. Meinen Kommilitonen habe ich erzählt, dass ich einfach keine Lust hätte und müde bin, oder mich krank fühle. Das Traurige daran ist, dass ich mir das alles selbst geglaubt habe und mich somit immer mehr zurück zog und umso mehr ich mich zurückzog, umso mehr vermied ich und umso mehr ich vermied, umso größer wurde meine Angststörung.
Im November 2015 stand dann das erste große Praktikum meines dualen Studiums an. Dafür musste ich von November 2015 bis Anfang März 2016 von Hof (Studienort) nach Regensburg ziehen (Ort des Arbeitgebers). Das Praktikum verschlechterte meinen Zustand ziemlich schnell, sodass ich im Dezember 2015 meinen damaligen Tiefpunkt erreicht habe.
Doch was machte das Praktikum so furchtbar für mich? Ich sollte nach meinem Studium einen Kollegen ersetzen, der in Rente geht. Doch genau mit diesem Kollegen hatte ich während meines Praktikums rein gar nichts zu tun. Meine anderen Kollegen wussten auch nicht was sie mit mir anfangen sollen und somit lief es darauf hinaus, dass ich mich 8 Stunden am Tag einfach langweilte, da ich überhaupt nichts zu tun hatte, was mich ziemlich frustrierte. Viele denken sich jetzt vielleicht „Sei doch froh dass du nichts machen musstest, dann kannst du chillen und Videos anschauen usw.“. Für mich war es jedoch die Hölle. Meine Angst machte sich von nun an auch deutlich in der Arbeit bemerkbar. Ich fing oft an zu zittern während der Arbeit, mir wurde schlecht und in Team-Meetings musste ich mich quälen auszuhalten. Ich war innerlich so unruhig, dass ich es fast nicht aushalten konnte. Der Schwindel und das daraus resultierende Gefühl gleich ohnmächtig zu werden wurde zu meinem täglichen Begleiter.
Es wurde ziemlich schnell so schlimm, dass ich nicht mehr in die Arbeit gehen konnte. Am Morgen habe ich mich fertig gemacht und gerichtet, um dann letztendlich heulend auf dem Bett zu sitzen, weil ich einfach nicht hinfahren konnte. Alles in mir hat sich gewehrt, ich war wie gelähmt und wusste einfach nicht was los ist mit mir. Allein der Gedanke an die Arbeit löste Angst und Panik in mir aus. Ich zitterte, mir war flau im Magen, ich hatte Druck auf der Brust und einfach Angst. Doch vor was ich eigentlich Angst hatte wusste ich nicht, das Gefühl war einfach da.
Es ging mir so schlecht, dass ich es nicht mal mehr schaffte, alleine mit dem Auto 80 km zu meinen Eltern in die Heimat zu fahren. Auch der Gedanke ans Auto fahren machte mir nun Angst. Innerorts war es noch machbar, Autobahn war jedoch der Horror für mich. Erst am nächsten Tag schaffte ich nach Hause zu fahren und war nach der Fahrt am Ende mit meinen Nerven.
Meine Eltern haben zu diesem Zeitpunkt noch nicht realisiert wie schlecht es mir wirklich ging. Doch wie auch, denn nicht einmal ich wusste was nicht richtig läuft in meinem Leben. Ich dachte, dass ich einfach keine Lust auf die Arbeit hatte, weil ich keine Arbeit bekam.
Ich ließ mich also krankschreiben und blieb Zuhause bei meinen Eltern. Nach 1-2 Wochen bestand meine Mutter nun aber darauf, mit ihr zu unserer Hausärztin zu gehen. Ich wollte das nicht, aber meiner Mutter zu Liebe bin ich mit ihr zusammen hingefahren. Als ich der Hausärztin dann unter Tränen erzählt habe was los ist mit mir, meinte diese dass ich einen Psychiater aufsuchen soll und ich ihrer Meinung nach auch sofort damit beginnen sollte Antidepressiva zu nehmen. Natürlich wollte ich das auch nicht und somit bekam ich fürs erste ein pflanzliches Mittel bei Unruhe. Ein Antidepressivum bekam ich aber trotzdem auch gleich verschrieben, damit ich damit anfangen könne, falls ich es mir doch anders überlege.
Das pflanzliche Medikament hatte mir zwar nicht geholfen, aber trotzdem ging es mir Zuhause wieder besser und ich versuchte wieder arbeiten zu gehen. Doch wieder musste ich feststellen, dass es einfach nicht klappte und ich begann das Antidepressivum zu nehmen, obwohl mir alleine beim Durchlesen des Beipackzettels schon ganz anders wurde. Ich bekam Paroxetin und kann mich noch gut daran erinnern, dass auf der Verpackung ein Zahnrad abgebildet war. Darüber habe ich sogar noch Scherze gemacht und meinte zu meiner Mama, dass das Medikament mein Hirn wieder einrenkt und richtig zum Laufen bringt und wir haben beide darüber gelacht.
Doch bereits am zweiten Tag der Einnahme ist mir das Lachen vergangen und es ging mir noch schlechter als zuvor. Mein Freund war zu Besuch bei mir in Regensburg und wir wollten Baden fahren. Meine Angst war aber so schlimm wie nie zuvor. Die innere Unruhe war kaum auszuhalten, so dass ich nicht mal fern sehen oder mich mit meinem Freund unterhalten konnte. Ich fühlte mich wie auf Drogen und war nicht mehr ich selbst, als ob ich keine Kontrolle mehr über mich habe. Wir wollten uns in einem Einkaufszentrum dann wenigstes etwas zu essen holen, da ich nichts Zuhause hatte. Wir standen in der Schlange an und mein Herz begann zu rasen. Ich dachte, dass ich keine Luft mehr bekomme und alles um mich herum wirkte fremd und beängstigend. Ich fing an zu weinen und wartete im Auto bis mein Freund mit dem Essen zurück kam. Da es mir bis dahin nie so erging wie an diesem Tag, habe ich die Einnahme des Paroxetin nach nur zwei Tagen beendet.
Mittlerweile stand nun auch Weihnachten schon fast vor der Tür und ich war wieder Zuhause bei meinen Eltern. Man merkte mir mittlerweile auch deutlich an, wie schlecht es mir ging. Ich hatte zu nichts mehr Lust, zog mich zurück, wollte meine Ruhe haben und weinte oft. Meinen Eltern habe ich auch erzählt, dass ich nicht mehr in die Arbeit will und dass ich nicht weiß wie ich das Praktikum noch schaffen soll.
Daraufhin packten mich meine Eltern und fuhren mit mir zur nächstgelegenen psychiatrischen Notfallambulanz……to be continued
Eure Sandra
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